von Gil Fronsdal, 26. März 2005
Jeder Praktizierende der Achtsamkeit weiß: im Geist existieren Kräfte, die die Achtsamkeit behindern. Anstatt diese Schwierigkeiten als „schlecht“ oder „Ablenkungen“ abzutun, ist es wichtig, sie zu untersuchen. Es ist einfacher von etwas frei zu werden, was wir durch und durch kennen. Uralte buddhistische Geschichten erzählen von Mara, dem buddhistischen Sinnbild für Versuchung und Ablenkung, wie sie zum Buddha kommt. Jedes Mal sagt der Buddha einfach nur „Mara, ich sehe dich“, und Mara flieht. Weil der Buddha Mara durch und durch kannte, brachte diese Handlung aus der Klarsicht heraus wirksam Befreiung.
Unter den vielen Kräften der Ablenkung werden traditionell fünf als besonders wichtig identifiziert, mit denen Meditierende vertraut sein sollten. Die sogenannten „fünf Hindernisse“ sind Kräfte im Geist, die uns daran hindern, klar zu sehen oder uns zu konzentrieren. Die Hindernisse sind:
- Sinnliches Verlangen,
- Wut,
- Trägheit und Lethargie,
- Ängstlichkeit und Sorge,
- Zweifel.
Wie Sie vielleicht bemerkt haben, besteht die Auflistung aus sieben Faktoren, von denen vier jeweils zu Paaren zusammengefasst sind. Eine Erklärung für diese Paare ist es, dass die gepaarten Begriffe sehr ähnliche, aber unterscheidbare mentale und physische Faktoren darstellen. Eine weitere Erklärung zielt darauf ab, dass durch diese Anordnung eine Eins-zu-eins-Abbildung auf eine andere traditionelle Liste möglich wird: die fünf mentalen Qualitäten, die für die Konzentration des Geistes notwendig sind. Jede dieser Qualitäten stellt ein Mittel zur Überwindung eines der fünf Hindernisse dar: Einsgerichtetheit überwindet sinnliches Verlangen, Freude überwindet Wut, Erwecken und Ausrichten der Aufmerksamkeit überwinden Trägheit und Lethargie, Glücklichsein überwindet Ängstlichkeit und Sorge, Aufrechterhalten der Aufmerksamkeit überwindet Zweifel.
Die Hindernisse können wie „Schwarze Löcher“ im Geist wirken. Ein Schwarzes Loch ist ein in sich kollabierter Stern, von dem eine solch gewaltige Anziehungskraft ausgeht, dass selbst das Licht hineingesogen und gefangen wird. Wenn die Hindernisse stark wirken, dann wird das Licht der Aufmerksamkeit in deren Gravitationsfeld gezogen und wir verlieren die Fähigkeit zu sehen, was in und um uns passiert. Vielleicht verlieren wir uns in Gedanken oder Fantasien, die von den Hindernissen genährt werden.
Selbst wenn sie nicht so stark wie Schwarze Löcher wirken, können die Hindernisse dennoch unsere Klarsicht trüben, insbesondere unser Wissen darüber, was schädliches und was förderliches Handeln, Sprechen oder Denken ist.
Eine uralte Metapher über die Art und Weise, wie die Hindernisse die Klarheit unseres Geistes verschleiern, ist die des Teiches. Wenn das Wasser eines Teiches klar und still ist, dann zeigt es unser Spiegelbild. Die Wirkung von sinnlicher Lust ist wie in einen Teich zu sehen, der gefärbt wurde. Wir neigen dazu, etwas Unrealistisches darin zu erkennen – „etwas durch die rosarote Brille zu sehen“. Wenn wir vor Wut kochen, dann ist es, als ob das Wasser des Teiches brodeln würde – keine Reflexion ist möglich. Trägheit und Lethargie sind wie eine dicke Schicht aus Algen: wieder ist keine Reflexion zu sehen, außer wenn wir die harte Arbeit auf uns nehmen und die Algen aus dem Teich angeln. Ängstlichkeit ist wie der Wind, der die Oberfläche des Teiches aufwühlt. Und Zweifel ist wie Wasser voller Schlamm. Weil wir dazu tendieren, nicht klar zu sehen, solange die Hindernisse wirken, ermutigen die buddhistischen Lehren, dass wir keine Entscheidung treffen, während wir unter ihrem Einfluss stehen. Wenn es möglich ist, sollte man mit einer Entscheidung warten, bis der Geist wieder ruhiger und klarer ist.
Die Hindernisse wirken in allen Menschen; ihre Präsenz ist kein persönlicher Fehler. Besser ist es, ihre Anwesenheit als wichtige Möglichkeit zu verstehen, sie zu untersuchen. Manchmal ist es weise, nicht zu versuchen, ein Hindernis schnellstmöglich loszuwerden , sondern es als eine Chance zu nutzen, etwas zu erlernen. Je stärker das Hindernis, umso wichtiger ist seine Untersuchung.
Der Buddha lehrte fünf Bereiche, die mit dem Hindernis zusammenhängen und die nützlich sind zu untersuchen: das Hindernis selbst, seine Abwesenheit, wie es entstand, wie es beseitigt wurde, und wie verhindert wird, dass es wieder entsteht.
Das Hindernis an sich zu erforschen beinhaltet, die Teile des Hindernisses zu erkennen, z. B. dessen physische, dynamische, emotionale, kognitive und antreibende Aspekte. Beispielsweise kann starkes Verlangen sich physisch durch Vorbeugen, Zusammenziehen des Solarplexus oder als ein Gefühl der Leichtigkeit äußern. Dynamisch kann es ein Mitreißen oder Anschwellen sein. Emotional kann es angenehme Gefühle wie Freude, Erregung oder Enthusiasmus hervorrufen. Anderseits kann es auch der Versuch sein, unangenehme Gefühle wie Leere, Einsamkeit oder Angst zu kurieren. Auf der Ebene des Antriebs kann das Verlangen als starker Impuls zu handeln oder anzuhaften erscheinen.
Das Nichtvorhandensein des Hindernisses zu bemerken, ist ebenfalls wichtig. Der Kontrast zwischen seiner Präsenz und Absenz kann uns helfen, die Aspekte des Hindernisses klarer zu fassen. Das Nichtvorhandensein zu erkennen, kann uns des Weiteren dabei helfen, einen Zustand der Freiheit von Hindernissen zu verstärken.
Sich bewusst zu werden, dass man ein Hindernis hinter sich gelassen hat, kann eine Quelle der Freude sein, welche das spirituelle Leben nährt. Ich denke, der Buddha meinte diese Freude, als er folgende Vergleiche anstellte: Frei von sinnlicher Lust zu sein ist wie Schulden abzuzahlen, befreit vom Griff der Wut zu sein ist wie die Erholung nach einer Krankheit, befreit von Trägheit und Lethargie zu sein ist wie die Entlassung aus dem Gefängnis, von Ängstlichkeit und Sorge befreit zu sein ist wie die Freiheit von der Sklaverei, und den Zweifel hinter sich zu lassen ist wie das Ankommen nach einer gefährlichen Wüstendurchquerung.
Zu erkennen wie Hindernisse entstehen, wie man sie beseitigt und wie man ihr Wiederauftreten verhindert, ist das Gleiche wie sich klar zu machen, wie man in Probleme hineingeraten ist, wie man herauskommt, und wie man verhindert, in der Zukunft die gleichen Probleme wieder zu erleben. Es verlangt viel Aufmerksamkeit und Urteilsvermögen, die hindernde Wirkung der Hindernisse zu bewältigen. Durch eine genügende Erfahrung mit ihnen lernen wir, uns nicht mehr von ihnen hereinlegen zu lassen, unsere Geistesgegenwart aufzugeben – ganz egal welche Hindernisse erscheinen werden.
Präsent zu sein, ohne durch die Hindernisse weggerissen zu werden, ist eine Freude. Ungehinderte Aufmerksamkeit ist ein Schatz. Sie ist es, die die Achtsamkeit ihre durchdringendste Arbeit der Befreiung beginnen lässt.