Kapitel 11: Eine kurze Einweisung in die Meditation
Besser als hundert Jahre
verständnislos und unstet gelebt,
Ist ein einziger Tag
gelebt mit Einsicht und vertieft in Meditation.
–Dhammapada 111
Nimm, entweder auf dem Boden oder auf einem Stuhl, eine bequeme aber wache Haltung ein. Schließe sanft die Augen und versuche, deinen Körpers ganz bewusst zu erleben, ihm ganz gegenwärtig zu sein. Atme zwei- oder dreimal tief ein und aus, um eine Verbindung zwischen Atem und Körper herzustellen und dich der an der Oberfläche vorherrschenden Gedanken und Empfindungen zu entledigen. Dann lenke deine Aufmerksamkeit einfach aber bewusst auf die Empfindung, die das Ein- und Ausatmen im Körper erzeugt, ohne zu versuchen den Atmen zu beeinflussen oder zu manipulieren.
Während dir die Empfindung des Atmens vertraut wird, lasse deine Aufmerksamkeit auf der Körperstelle ruhen, wo du den Atem am klarsten und einfachsten beobachten kannst. Das könnte das Heben und Senken des Bauches sein, die Bewegung im Brustkorb oder das Spüren der Luft, wie sie an der Nasenspitze vorbeifließt. Um die Verbindung zwischen dem Bewusstsein und der Empfindung des Atmens im Körper aufrecht zu erhalten, kann es hilfreich sein, in Gedanken das Ein- und Ausatmen zu benennen: „heben“ und „senken“ oder „ein“ und „aus“.
Wir legen so viel Wert auf das bewusste Atmen in der Meditation, weil es unsere Fähigkeit festigt, im gegenwärtigen Augenblick bewusst und beständig zu sein. Immer wenn du merkst, dass du dich durch das Geschnatter der Alltagsgedanken hast ablenken lassen, lenke deine Aufmerksamkeit sanft und ohne Vorwürfe zurück zum Atmen.
Es kann jedoch vorkommen, dass eine andere Empfindung so stark wird, dass es schwierig ist, bei der Beobachtung des Atems zu bleiben. In diesem Fall, lass den Atem sein und gib deine ganze Aufmerksamkeit dieser neuen Empfindung, und mache sie zum Mittelpunkt deiner Achtsamkeit. Vielleicht hilft es zu versuchen, zwischen dem Vorder- und dem Hintergrund des Bewusstseins zu unterscheiden. Stelle anfänglich das Atmen in den Vordergrund deines Bewusstseins und lasse alle anderen Empfindungen im Hintergrund bleiben. Solange du ohne Anstrengung das Atmen im Vordergrund halten kannst, lasse alle anderen Empfindungen einfach im Hintergrund ruhen. Wenn aber eine körperliche, geistige oder seelische Empfindung das Atmen aus dem Vordergrund verdrängt, akzeptiere diesen neuen Ruhepunkt für das Bewusstsein.
Um die Konzentration auf dieses neue in den Vordergrund getretenen vordergründige Empfinden zu festigen, kann es sehr nützlich sein, es in Gedanken behutsam zu benennen. Bei Geräuschen, zum Beispiel, kann man sich leise sagen „hören, hören“, bei Schmerzen, „brennen“ oder „stechen“, aber auch „Freude, Freude“, und so weiter. Das Wichtige ist, dass wir alles genau spüren und den benannten Empfindungen ganz gegenwärtig sind. Wir halten sie im offenen Bewusstsein, solange sie sich im Vordergrund befinden, und achten auf mögliche Veränderungen der Gefühle. Wenn eine Empfindung nicht länger überwiegt, oder wenn sie genügend anerkannt wurde und deshalb unsere Aufmerksamkeit nicht länger beansprucht, kehren wir mit unserer Aufmerksamkeit zum Atem zurück.
Eine andere Art, die Praxis der Achtsamkeit zu beschreiben, wäre, dass man klar und bewusst seine Aufmerksamkeit dem Atem widmet, bis man von etwas Anderem entschieden davon abgelenkt wird. Wenn das geschieht, wird diese sogenannte „Ablenkung“ zum Fokus der Meditation. Es gibt aber in der Achtsamkeitspraxis eigentlich keine Ablenkung, nur neue Empfindungen, denen man seine Aufmerksamkeit schenken kann. Es gibt nichts, das außerhalb des Bereichs der Achtsamkeitsmeditation liegt. Die volle Reichweite unseres Menschseins darf sich im Licht unserer Achtsamkeit entfalten. Körperliche Empfindungen, Stimmungen, Gefühle, Gedanken, Geisteszustände, Launen und Absichten—alles ist mit eingeschlossen.
Während der ganzen Meditation lass deine Aufmerksamkeit sanft und entspannt, aber gleichzeitig hellwach und klar sein. Wenn du unterscheiden kannst zwischen Ideen, Begriffen, Bildern und Gedanken, die mit einer Erfahrung verbunden sind, auf der einen Seite, und dem unmittelbaren, körperlichen Gefühl auf der anderen, lass deine Aufmerksamkeit auf dem unmittelbaren Gefühl ruhen. Achte auf die körperlichen oder seelischen Empfindungen, die greifbar in der Gegenwart aufkommen. Bemerke was mit ihnen geschieht, wenn du ihnen deine ganze Aufmerksamkeit gibst. Werden sie stärker, schwächer oder bleiben sie gleich?
Achte auch auf deine Beziehung zu deinen Empfindungen. Spürst du Abneigung, Verlangen, Anerkennung, Verurteilung, Missbilligung, Angst, Habgier, Stolz, oder hast du andere Reaktionen? Die Erkenntnis, dass, zum Beispiel, ein körperlicher Schmerz etwas anderes ist als deine Reaktion darauf, kann helfen, inmitten des Unbehagens ein Gleichgewicht zu finden. Sollte deine Reaktion auf eine Erfahrung schwerwiegender sein als die Erfahrung selbst, ist es wichtig auch das zu beachten, und diese Reaktion zum Ruhepunkt deines Bewusstseins zu machen. Nimm nicht teil am Treiben deiner Gedanken oder Vorstellungen, sondern sei dir nur einfach und still bewusst, was gegenwärtig ganz konkret in Körper und Seele vorgeht.
Während wir lernen in der Meditation wach und ruhig gegenwärtig zu sein, wird eine tiefere Vertrautheit mit uns selbst und mit der Welt in uns aufsteigen. Indem wir die Fähigkeit kultivieren, unserem direkten Empfinden gegenüber achtsam zu bleiben ohne Einmischung, Bewertung, Vermeidung oder Anhaftung, geben wir den Urquellen von Einsicht und Weisheit die Möglichkeit ans Tageslicht zu kommen.