Kapitel 28: Erwachen—Achtsamkeit befreit
Lasst los was in der Zukunft liegt,
Lasst los was in der Vergangenheit liegt,
Und lasst los was dazwischen liegt.
Geht über das Werden hinaus.
Ist der Geist von allem befreit,
Werdet ihr nicht geboren und altern.
–Dhammapada 348
Einer der schwierigsten Aspekte der buddhistischen Lehre ist die Betonung der Idee von Nibbana/Nirvana—eine Art des Wissens, das von den Unbeständigkeiten des Lebens unberührt bleibt. Die Achtsamkeitpraxis hilft uns, eine ehrliche und vertraute Beziehung zu unserem Leben zu haben. Doch darüber hinaus, eröffnet sie uns die Möglichkeit eines Bewusstseins, das sich an nichts hängt und nichts ablehnt. Sich dieser Möglichkeit voll bewusst zu sein, wird manchmal „Erleuchtung“ genannt.
Unsere Achtsamkeit ist oft in Anspruch genommen und gelenkt von den vielen Überlegungen, die wir uns über den Stand unseres Lebens machen. Wir sind vertieft in Gedanken über Gesundheit, Aussehen, Sicherheit, Beruf, Freizeit, Freundeskreis und Meinungen. Aber das Leben bietet keine Garantie, dass wir Kontrolle über diese Lebensbedingungen haben, und wenn unser Glück von ihnen abhängt, setzen wir uns dem Unglück aus. Es kann ganz gut tun, wenn wir gelegentlich die Kontrolle über diese Bedingungen verlieren, denn in diesem etwas hilflosen Zustand wird es uns möglich, die Tiefe unserer Erfahrung zu entdecken, die von all diesen Dingen unabhängig ist.
Das „Erwachen“ der buddhistischen Lehre zeigt uns den Weg zur Entdeckung von Aspekten des Lebens, die wir gewöhnlich übersehen—besonders bedingungslose Achtsamkeit und grenzenlose Liebe. In der buddhistischen Praxis entdecken, schätzen und bekräftigen wir eine natürliche Einsicht, die von Gewinn und Verlust, Lob und Tadel, Freude und Schmerz, Erfolg und Misserfolg unabhängig ist. Es wird leichter, uns mit Wohlwollen und Bereitwilligkeit durch das Dickicht der Lebensbedingungen zu bewegen, wenn wir von der Einsicht gekostet haben, die nicht an diesen Bedingungen hängt.
Wir wissen, dass Raum an sich schwer zu beschreiben ist, dass er nur in Bezug auf Gegenstände, die ihn beschränken, beschrieben werden kann. Erleuchtung ist noch schwieriger zu beschreiben, da es in keiner direkten Verbindung steht zu den subjektiven und objektiven Erfahrungen dieser Welt. Erwachte Achtsamkeit hat die Durchsichtigkeit eines sauberen Fensters, durch das wir sehen können ohne es wahrzunehmen. Da es von Gier, Hass und Angst befreit ist, ist es dem all-umfassenden Vertrauen in die Achtsamkeit nahe verwandt. Da es von jedem Konflikt frei ist, wird erwachte Achtsamkeit manchmal als friedlich charakterisiert. Da es ohne Festhalten ist, wird es als die Pforte zum Mitgefühl gefeiert.
Den Weg zur Erleuchtung zu beschreiten bedeutet, dass wir uns der Achtsamkeit und der Untersuchung widmen, was auch immer geschieht oder was auch immer wir zu tun beschließen. Es bedeutet Zuflucht in der Achtsamkeit zu finden, gleichviel ob wir gesund oder krank sind, arbeitslos, wohlhabend oder obdachlos, in einer Beziehung sind oder allein leben. Wenn wir in allen möglichen Umständen Aufmerksamkeit üben, entwickeln wir vorurteilslose Aufgeschlossenheit, die uns in allen Situationen erlaubt liebevoll und kritiklos unsere Gedanken zu erkennen, zu sehen wo sie sich verfangen haben und hängen geblieben sind.
Wenn Achtsamkeit so weit gereift ist, dass uns das Erwachen erfrischen kann, brauchen wir die bedingte Welt nicht mehr für den Mittelpunkt unseres Universums zu halten. Schon ein Anflug des Unbedingten bietet eine Art von kopernikanischer Revolution im Bewusstsein. Es kühlt auf natürliche Art das Fieber, das von den vielen Erscheinungen von Gier, Hass und Verblendung hervorgerufen wird. Das mitfühlende Herz weitet sich und schließt alles in sich ein.