Anhang: Theravada – Der Weg zur Freiheit
„Theravada“ – wörtlich „Die Lehren der Alten“—ist eine uralte buddhistische Tradition, die über zwei Jahrtausende Übungen und Lehren der Weisheit, Liebe und Befreiung gepflegt und erhalten hat. Freiheit, der zentrale Aspekt um den sich diese Tradition dreht, ist eine tiefe Einsicht in und Teilnahme an den „Dingen wie sie wirklich sind“: Die Welt in der wir leben ohne die Filter der Gier, des Hasses und der Täuschung.
Mit der immer gegenwärtigen, zeitlosen Unmittelbarkeit der „Dinge wie sie sind“ als zentralem Bezugspunkt, ist die Theravada Schule eine sich laufend verändernde und vielfältige Tradition, die aus den spezifischen persönlichen, historischen und kulturellen Rahmenbedingungen der Praktizierenden entstanden ist. Heute gibt es über 100 Millionen Theravada Buddhisten in Sri Lanka und Südost-Asien. Die derzeit einflussreichsten Theravada Länder sind Myanmar (Birma), Thailand und Sri Lanka. Aus diesen Ländern ist diese Tradition auch in den Westen gelangt.
Theravada Buddhismus in Nordamerika
Seit den 1960er Jahren hat die Theravada Tradition langsam aber stetig auch in Nordamerika Fuß gefasst. Die zwei wichtigsten Ausgangspunkte waren die Gründung des ersten amerikanisch-buddhistischen vihara, oder Klostertempels, durch die buddhistische Gemeinde Sri Lankas in Washington D.C., und zehn Jahre später die Gründung des Vipassana Meditationszentrums in Barre, Massachusetts, bekannt als die Insight Meditation Society (IMS). Diese beiden Zentren stellen zwei unterschiedliche Formen dar, die der Theravada Buddhismus in Nordamerika angenommen hat. Die klösterlich orientierte Tradition und die Tempel der südostasiatischen Einwanderer auf der einen Seite und die laienorientierte Vipassana Bewegung großteils aus Amerikanern europäischer Abstammung bestehend. Die erste Gruppe ist eher konservativ und praktiziert in Amerika die verschiedenen Formen des Buddhismus, wie sie in ihren Herkunftsländern vorkommen. Die Letzteren haben einen eher liberalen und experimentellen Ansatz, um den Theravada Buddhismus an das laienbasierte amerikanische Umfeld anzupassen.
Die neueste Form des Theravada Buddhismus in den USA passt in keine der beiden Kategorien. Sie ist gekennzeichnet durch klösterliche Zentren, die von Euro-Amerikanern geführt und unterstützt werden. Ein Beispiel ist das Abhayagiri Kloster in Redwood Valley (Kalifornien), das von dem englischen Mönch Ajahn Amaro 1996 gegründet wurde. Zusätzlich ermöglichen zwei weitere klösterliche Zentren, Metta Forest Monastery in San Diego County (Kalifornien) und die Bhavana Society in High View (West Virginia), klösterliche Praxis für westliche Menschen, wobei sie fest mit ihren traditionellen asiatischen Gemeinschaften verbunden bleiben. In diesen Zentren können wir möglicherweise den Anfang einer amerikanischen Version des Theravada Klosterwesens sehen.
Das Klosterleben wurde lange Zeit als der beste Lebensstil betrachtet für das Studium, die Übung, den Dienst am Nächsten und die Reinigung des Herzens. Allerdings wurden im 20. Jahrhundert und vor allem im modernen Westen, die gesamten Möglichkeiten der Theravada Meditationspraxis auch Laien in noch nie dagewesener Weise ermöglicht. Aus diesem Grund wird das Leben im Kloster nicht mehr als die einzige Form der Weiterführung der Tradition angesehen, obwohl es ein Anker und eine Kraft zur Erhaltung bleibt.
Obwohl es noch zu früh ist zu sagen wie der amerikanische Theravada Buddhismus schließlich aussehen wird, wird er wahrscheinlich mindestens ebenso vielfältig sein wie in seinem südostasiatischen Herkunftsländern. Vielleicht wird er sogar die Grenzen der Tradition erweitern, die ihn ursprünglich definiert hat.
Grundlegende Lehre
Der Buddha ermutigte die Menschen nicht blind zu glauben, sondern selbst „zu kommen und zu sehen“. Deshalb heben seine Lehren die Übung hervor und nicht den Glauben oder die Doktrin. In diesem Sinn sind viele Theravada Übungen einfach Übungen der Wahrnehmung, die aber bei regelmäßiger Anwendung sehr wirkungsvoll sind. Ergänzend dazu lehrt die Tradition Übungen zur Stärkung der Großzügigkeit, des Dienstes an Anderen, Ethik, liebende Güte, Mitgefühl und die richtige Lebensweise. Diese Übungen pflegen das Wachstum eines erleuchteten und befreiten Herzens und helfen uns weise und mitfühlend zu leben.
Die Theravada Tradition führt seine Übungen und Lehren auf den historischen Buddha zurück. Obwohl er ein Objekt großer Verehrung war, hat die Tradition über die Jahrhunderte hin den Buddha doch immer als einen Menschen gesehen, als jemanden, der den Weg der Übung zeigte, dem Andere folgen können. Die Theravada Schule überliefert den Großteil der Lehren des Buddha in einer umfassenden Schriftensammlung, den Suttas, die auf Pali—der Theravada Entsprechung des Kirchenlatein—niedergeschrieben sind. Diese bemerkenswerten Schriften beinhalten hoch geschätzte und genaue Beschreibungen der Übungen, Ethik, Psychologie und Lehren über das spirituelle Leben. Sie beinhalten auch eine ernste Warnung, seine eigene Urteilskraft gegenüber der Tradition und diesen Texten nicht aufzugeben, aber gleichzeitig auch die Warnung, nicht nur seinem eigenen Urteil zu folgen, ohne Andere angehört zu haben. In der Kalama Sutta, sagt der Buddha über die Entscheidung über das Wahre oder Falsche der spirituellen Lehren:
Folge nicht der überlieferten Tradition, der Herkunft der Lehre, dem Hören-Sagen, der Schriftensammlung, der logischen Beweisführung, der schlussfolgernden Beweisführung, dem Nachdenken über Gründe, der Akzeptanz einer Sichtweise durch Abwägen, der scheinbaren Fähigkeit eines Sprechers, oder einfach weil du denkst „Der Asket ist unser Lehrer.“
Aber wenn du selbst erkennst, „Diese Dinge sind ungesund, diese Dinge sind tadelnswert, diese Dinge werden von den Weisen abgelehnt, diese Dinge führen zu Schaden und Leiden wenn sie angewandt werden“, dann solltest du sie aufgeben.
Aber wenn du selbst erkennst, „Diese Dinge sind förderlich, diese Dinge sind frei von Schuld, diese Dinge werden von den Weisen gepriesen, diese Dinge führen zu Wohlergehen und Glück wenn sie angewandt werden“, dann solltest du dich ihnen widmen.
Eine grundlegende Ursache dieser pragmatischen Kriterien für spirituelle Wahrheit oder Falschheit, war wohl, dass der Buddha wenig daran interessiert war korrekte metaphysische Ansichten aufzustellen. Es ging ihm mehr darum aufzuzeigen, wie man sich vom Leiden zur Freiheit vom Leiden, vom Leiden zur Befreiung bewegen kann. Deshalb ist die wichtigste Lehrmeinung der Theravada Tradition in den „vier edlen Wahrheiten“ zu finden. „Wahrheit“ bezieht sich hier darauf, was spirituell oder therapeutisch richtig und hilfreich ist. Die vier edlen Wahrheiten sind:
- Es gibt Leiden
- Der Grund des Leidens ist Verlangen
- Es gibt die Möglichkeit das Leiden zu beenden
- Zum Ende des Leidens führt der edle achtfache Pfad
Leiden (dukkha auf Pali) bezieht sich dabei nicht auf körperlichen und fühlbaren Schmerz, welchen wir zwangsläufig erleben. Es bezieht sich auf die Unzufriedenheit und Spannung, die wir durch das Anhaften unserem Leben hinzufügen. Die erste und zweite edle Wahrheit sind ein Aufruf klar zu erkennen, dass unser Leiden und die verschiedenen Arten des Begehrens und der Abneigung, der Grund für das Anhaften und somit für das Leiden sind. Ein Grund warum die Theravada Tradition die Übung der Wahrnehmung betont, ist uns zu helfen dies zu erkennen. Die dritte und vierte edle Wahrheit zeigt uns die Möglichkeit der Beendigung des durch Anhaften verursachten Leidens und ein Leben mit einem freien Herzen.
Die Erfahrung, frei zu sein von Leiden durch Anhaftung, wird als nibbana (nirvana auf Sanskrit) bezeichnet und wird im Deutschen allgemein als Erleuchtung oder Erweckung bezeichnet. Obwohl die Theravada Tradition nibbana manchmal als einen Zustand großen Glücks oder Friedens beschreibt, wird es meist einfach durch die Abwesenheit von Begehren und Anhaften definiert. Der Hauptgrund für diese negative Definition ist, dass nibbana so grundsätzlich anders ist, als alles was wir mit Worten beschreiben können, dass es am besten gar nicht erst versucht wird. Darüber hinaus rät die Lehre davon ab, sich auf bestimmte Ideen der Erleuchtung, wie auch auf zwecklose philosophische oder metaphysische Spekulationen festzulegen. In der Tat ist ein Teil der Brillanz der vier edlen Wahrheiten, dass sie eine Anleitung zu einem spirituellen Leben bietet, ohne die Notwendigkeit sich an dogmatische Glaubenslehren binden zu müssen.
Der achtfache Pfad
Die vierte edle Wahrheit beschreibt die Stufen, die wir zum Loslassen der Anhaftungen nehmen können: Der edle achtfache Pfadbesteht aus:
- Rechte Einsicht
- Rechte Gesinnung
- Rechte Rede
- Rechtes Handeln
- Rechter Lebenserwerb
- Rechtes Streben
- Rechte Achtsamkeit
- Rechte Sammlung
Diese acht Aspekte sind meist in die drei Kategorien Weisheit, Moral und Meditation (pañña, sila und samadhi) eingeteilt.
Weisheit umfasst rechte Einsicht und rechte Gesinnung. Dies beginnt mit der Erkenntnis, dass die Motivation zur Übung aus dem Verständnis entsteht, wie die vier edlen Wahrheiten mit unserer persönlichen Situation zusammenhängen.
Ethik umfasst rechte Rede, rechtes Handeln und rechten Lebenserwerb. Der Theravada Buddhismus lehrt uns, dass wir kein offenes, vertrauensvolles und nicht anhaftendes Herz entwickeln können, wenn unser Handeln von Gier, Hass oder Täuschung motiviert ist. Ein guter Pfad zur Entwicklung und Stärkung eines erleuchteten Herzens ist unser Handeln von Werten der Großzügigkeit, Freundlichkeit, Ehrlichkeit und des Mitgefühls leiten zu lassen.
Abschließend umfasst die Übung des Bewusstseins rechtes Streben, rechte Achtsamkeit und rechte Sammlung. Mit einem Streben das weder angespannt noch allzu selbstverständlich ist, entwickeln wir Klarheit und dauerhaftes Bewusstsein, sodass wir das verborgene Innere des Lebens erkennen können. Und das wiederum hilft uns Anhaftungen zu beenden.
Das stufenweise Training
Die suttas zeigen, dass der Buddha ein stufenweises Training der geistigen Entwicklung beschrieb (z.B. im Samaññaphala Sutta in der Digha Nikaya und Ganakomoggallana Sutta in der Majjhima Nikaya). Dieses Training beginnt bei der Entwicklung von Großzügigkeit, über die Ethik, zur Achtsamkeitspraxis, weiter zur Gedankensammlung, über die Einsicht schlussendlich zur Befreiung. Das stufenweise Training ist eine Erweiterung der drei Kategorien des achtfachen Pfades mit Großzügigkeit und Ethik in sila enthalten, Meditationsübungen in samadhi und Einsicht und Befreiung pañña zugehörend. Obwohl dieses stufenweise Training oft aufeinander aufbauend dargestellt wird, kann es auch separat und unabhängig von einander als eine hilfreiche Beschreibung wichtiger Elemente des geistigen Weges gesehen werden. Verschiedene Menschen durchlaufen diesen zu verschiedenen Zeiten in einer nicht immer geradlinigen Weise. Menschen aus dem Westen, die Theravada ausüben, überspringen oft einige der frühen Stufen des Trainings. Stattdessen konzentrieren sie sich anfänglich auf die Bewusstseinsübungen und im speziellen auf die Achtsamkeit. Obwohl es im Westen gute Gründe geben mag mit der Achtsamkeit zu beginnen, übergehen wir damit vielleicht die Entwicklung gesunder psychologischer Qualitäten von Geist und Seele, die ein wichtiges Fundament sind. Wenn wir mit der Achtsamkeitsübung beginnen übersehen wir vielleicht auch, dass die Erkenntnis und das reine Herz im Dienst am Nächsten zum Ausdruck kommen kann.
Großzügigkeit
Das traditionelle Theravada Training beginnt mit sila und der Entwicklung der Großzügigkeit (dana). In seiner höchsten Form ist die Praxis von dana weder durch moralische Ideen von richtig und falsch, noch von möglichen zukünftigen Belohnungen motiviert. Stattdessen ist es die Absicht dieser Übung, unsere Fähigkeit zu stärken, in allen Situationen feinfühlig und angemessen großzügig zu sein.
Wenn sich Großzügigkeit entwickeln kann, stärkt sie die geistige Offenheit und unterstützt damit die herausfordernden Übungen der Achtsamkeit. Wenn die Übung der Großzügigkeit unsere Anhaftungen und Abhängigkeiten offenlegt, werden wir uns der Wirkung der vier edlen Wahrheiten auf unser eigenes Leben leichter bewusst. Die Großzügigkeit hilft uns, in unserem geistigen Leben eine Verbindung mit unseren Mitmenschen zu schaffen und schwächt den Hang egozentrisch und auf uns selbst fixiert zu sein.
Ethik
Darauf aufbauend wird sila im stufenweisen Trainung erweitert um die Ethik einzuschließen, die manchmal als die Entwicklung von Zufriedenheit beschrieben wird, da moralische Verstöße oft aus Unzufriedenheit entstehen. Für einen Laien bedeutet Übung der Ethik, sich an die folgenden fünf Grundsätze zu halten:
- Sich enthalten ein lebendes Wesen zu töten
- Sich enthalten zu stehlen oder zu nehmen, was einem nicht gegeben ist
- Sich sexuellen Fehlverhaltens zu enthalten
- Sich enthalten zu sagen, was nicht wahr ist
- Sich Alkohol oder Drogen zu enthalten, die Leichtsinn oder Achtlosigkeit verursachen
Die Grundsätze sind nicht als moralisierende Gebote gedacht, sondern als Richtschnur für die Entwicklung Rechten Handelns. Sie werden gelehrt, weil sie Eigenschaften wie Zurückhaltung, Zufriedenheit, Ehrlichkeit, Klarheit und Achtung vor dem Leben stärken. Sie erzeugen auch gesunde Beziehungen zu anderen Menschen und Lebewesen. Der Pfad des Nicht-Anhaftens fällt uns leichter, wenn unsere Beziehungen in Ordnung sind.
Die Theravada Tradition empfiehlt die Entwicklung von vier warmherzigen Eigenschaften, die als die himmlischen Domizile (brahma-viharas) bezeichnet werden: liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut. Liebende Güte ist selbstlose Freundlichkeit oder Liebe, die sich selbst und anderen Glück und Freude wünscht. Mitgefühl und Mitfreude, ergänzende Ausdrücke der liebenden Güte, betreffen die Teilnahme an Freud und Leid unserer Mitmenschen, doch ohne jede Anhaftung. Gleichmut ist die Eigenschaft, allem was geschieht, besonders in Situationen in denen wir anderen oder uns selbst nicht helfen können, mit Ausgeglichenheit, Festigkeit und Fassung zu begegnen. Theravada Buddhisten verwenden diese Einstellung gewöhnlich als Richtschnur für ein gutes Zusammenleben mit anderen.
Meditation
Wenn ein Fundament von Großzügigkeit und Ethik geschaffen ist, setzt sich das stufenweise Training mit der Entwicklung der Meditationsübungen fort. Von diesen hat der Theravada Buddhismus eine große Auswahl, einschließlich vieler verschiedener Formen der formellen Sitz- und Geh-Meditation, wie auch der Entwicklung von Achtsamkeit bei unseren alltäglichen Verrichtungen. Meditationsübungen sind üblicherweise in die zwei Kategorien eingeteilt: Sammlung und Achtsamkeit.
Übungen der Sammlung betonen die Entwicklung einer beständigen, auf einen Punkt gerichteten Konzentration auf Merkmale wie den Atem, ein Mantra, ein geistiges Bild oder ein Thema wie liebende Güte. Zustände starker Sammlung können vorübergehende, aber oft hilfreiche Zustände psychologischer Vollständigkeit und Wohlbefinden verursachen. Liebende Güte (metta auf Pali) ist ein besonders nützliches Thema für die Sammlung , weil es das traditionelle Gegenmittel zu allen Formen der Abneigung und Selbstkritik ist. Zusätzlich hilft diese Übung Freundlichkeit zu entwickeln, die andere Übungen der Achtsamkeit unterstützen kann.
Achtsamkeit ist die Entwicklung eines unabgelenkten Bewusstseins gegenüber dem, was im jetzigen Augenblick geschieht. Sowohl bei der Übung der Sammlung, wie auch der Achtsamkeit ist das wache Bewusstsein in der Gegenwart verankert. Mit der Übung der Sammlung wird das Bewusstsein auf einen bestimmten Schwerpunkt gerichtet, wobei alles andere ausblendet wird. Im Gegensatz dazu, entwickelt die Achtsamkeitspraxis ein umfassendes, manchmal sogar wahlloses Bewusstsein, das alles wahrnimmt, was gerade in unserer Erfahrung vorherrscht. Es ist ein akzeptierendes Bewusstsein, das unsere Gefühle, Gedanken, Motivationen, Einstellungen und Reaktionen klar werden lässt. Dieses Bewusstsein dann wieder hilft uns Mitgefühl und Gleichmut zu entwickeln, die unsere Befreiung fördern.
Die weitaus häufigste Form der Theravada Meditation die heute im Westen gelehrt wird ist die Übung der Achtsamkeit. Im Besonderen ist es eine Form der Achtsamkeit, die von den Lehren des Buddha abgeleitet wird und in der Schrift Sutta der vier Pfeiler der Achtsamkeit überliefert sind. Die vier Pfeiler sind der Körper (in dem auch die Atmung eingeschlossen ist), die Gefühle, die Geisteszustände und die dhammas (dharmas auf Sanskrit, die psychologischen Vorgänge und Einsichten, die sich auf die Entwicklung eines freien Bewusstseins beziehen). Sie sind die vier Bereiche der Erfahrung, in welchen sich Achtsamkeit entwickelt.
Einsicht und Befreiung
Mit sila und samadhi als Basis, beginnt Weisheit, oder pañña, zu wachsen. Die Schlüsselübung des Theravada Buddhismus, die zu Erkenntnis und Befreiung führt, ist die Achtsamkeit, manchmal von Übungen der Sammlung unterstützt. Achtsamkeit schafft das Fundament für Vertrauen und das Annehmen, uns dem zu öffnen, was unser äußeres und inneres Leben bringen mag. Selbsterkenntnis ist dabei sicher sehr wichtig, doch kann diese vertrauensvolle Offenheit oder dieser Nicht-Widerstand selbst das Tor zur Befreiung sein, was im Theravada Buddhismus das Ende aller Anhaftungen genannt wird. Ein Teil der Schönheit der Achtsamkeit ist, dass jeder klare Moment der Achtsamkeit selbst ein Moment des Nicht-Anhaftens ist und uns somit ein Vorgefühl von Befreiung gibt.
Wenn die Achtsamkeit stärker wird, offenbaren sich unmittelbar drei Erkenntnisse, die der Buddha die Eigenschaften jeglicher Erfahrung nannte, nämlich dass unsere Erfahrung vergänglich, unvollkommen und ohne Selbst ist.
Alle Dinge sind vergänglich, auch die Art und Weise wie wir uns selbst und die Welt erfahren. Da unsere Erfahrungen sich immerwährend verändern, sind sie als Quellen für dauerhafte Sicherheit oder Identität unvollkommen. Und wenn wir sehen, dass sie uns nicht dauerhaft befriedigen, erkennen wir auch, dass alles was wir erfahren nicht zu einer feststehenden und eigenständigen Auffassung eines „Selbst“ gehört, weder unsere Gedanken, Gefühle oder unser Körper, nicht einmal das Bewusstsein selbst.
Manchmal löst diese Erkenntnis Angst aus. Wenn aber unsere Achtsamkeitspraxis reifer wird, erkennen wir, dass wir glücklich in dieser Welt leben können, ohne uns an etwas zu klammern und ohne von etwas abhängig zu sein. Somit helfen uns die grundlegenden Erkenntnisse der Achtsamkeitspraxis Vertrauen und gesunde Gelassenheit inmitten unseres Lebens zu entwickeln. Wie dieses Vertrauen wächst, so schwächt es unser Bedürfnis des Anhaftens. Schlussendlich verlieren sich die tiefen Wurzeln des Anhaftens – Begierde, Hass und Täuschung – und es eröffnet sich eine befreite Welt.
In gewissem Sinne ist die Frucht dieser Befreiung, in einer Welt zu leben, auf die wir unsere Anhaftungen, Ängste, Sehnsüchte und Abneigungen nicht mehr projizieren, eine Welt der „Dinge so wie sie sind“ zu sehen. Wenn das Loslassen der Anhaftungen groß genug ist, erkennen wir die direkte und unmittelbare Gegenwart des „Unsterblichen“, ein Begriff der im Theravada Buddhismus Allgegenwart und die zeitlose Erfahrung der Befreiung bedeutet.
Dienst am Nächsten
In gewissem Sinne endet das stufenweise Training mit der Befreiung. Befreiung ist das Tor, aus dem Mitgefühl und Weisheit fließen, ohne selbstsüchtiges Anhaften und Identifikation. Wenn unser Mitgefühl nicht gewachsen ist, mangelt es noch an Training. Für manche Menschen ist der Wunsch nach Dienst am Nächsten ein Nebenprodukt der Befreiung und des Mitgefühls. Dieser Dienst kann unzählige Formen annehmen, wie einem Nachbarn in einer schwierigen Situation zu helfen, zu entscheiden in einer Hilfsorganisation mitzuarbeiten, oder das Dharma (die Lehre) zu lehren. Bevor der Buddha seine ersten sechzig erleuchteten Jünger in die Welt hinaus schickte, sagte er zu ihnen:
Meine Freunde, ich bin befreit von aller menschlicher und geistiger Verstrickung. Und da ihr ebenso frei von aller menschlicher und geistiger Verstrickung seid, gehet hinaus in die Welt zum Wohle aller, zum Glück aller, zum Mitgefühl mit der Welt und zum Nutzen, zum Segen und zum Glück für Götter und Menschen…. Offenbart das geistige Leben, umfassend und rein in seinem Geist und in seiner Form.
Der Wunsch Anderen zu dienen, kann aber auch einen stilleren Ausdruck finden, so wie einfach als Mönch oder Nonne zu leben, als ein Beispiel für ein Leben in praktischer Übung. Das Ereignis der Erleuchtung an sich, ist ein großes Geschenk, ein großer Dienst, da andere nun nicht mehr der Begierde, des Hasses und der Täuschung durch den Erleuchteten ausgesetzt sind. Stattdessen kommt ihnen die Ausstrahlung zugute, das gute Beispiel und die Weisheit des Erleuchteten. Das Geschenk der Erleuchtung kann als das Schließen des spirituellen Kreises gesehen werden, mit dem Großmut am Beginn und am Ende des Weges.
Glaube
Ein Schlüsselelement auf jeder Stufe des Pfades ist der Glaube, ein Wort das westliche Menschen oft missverstehen. Im Theravada Buddhismus bedeutet Glaube nicht blinde Frömmigkeit. Stattdessen beschreibt Glaube Selbstvertrauen und Vertrauen in die Lehren und Übungen der Befreiung, und in die Gemeinschaft der Lehrer und Ausübenden, in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Es ist jene Art des Glaubens, der uns anregt für uns selbst die Erfahrungsmöglichkeiten eines spirituellen Lebens zu prüfen und zu bestätigen.
Wie diese Möglichkeiten verwirklicht werden, so entdecken wir oft wachsendes Vertrauen in unsere eigene Fähigkeit für Offenheit und Weisheit. Dies wiederum erhöht unsere Wertschätzung jener Menschen und Lehren, die dieses innere Vertrauen unterstützen. In der Theravada Tradition werden diese durch die drei Schätze dargestellt: Der Buddha, das Dharma oder die Lehre und die Sangha oder die Gemeinschaft der Ausübenden.
Eines der verbreitesten Rituale für Laien im Theravada Buddhismus ist „Zuflucht nehmen“, d.h. bewusst zu entscheiden, sich von den drei Schätzen unterstützen und ermutigen zu lassen. „Zuflucht nehmen“ ist oft ein selbstverständlicher Teil der Zeremonien bei Klausuren (Retreats) und Tempelbesuchen, doch kann es ein Schlüsselmoment sein, wenn Menschen Zuflucht nehmen mit der bewussten Entscheidung, ihr Leben in Übereinstimmung mit ihren innersten Werten und Vorsätzen zu führen. Unsere Praxis mit Buddha, Dharma und Sangha zu verbinden, hilft zu verhindern, dass sie auf intellektuelle Anliegen, Probleme persönlicher Therapie oder eigennützigem Ehrgeiz beschränkt bleibt. Zuflucht nehmen hilft eine feste und breite Basis des Vertrauens und des Respekts zu bilden, auf der wirkliche Achtsamkeit und Erkenntnis wachsen kann.
Theravada Buddhismus im täglichen Leben
Der Theravada Buddhismus unterscheidet zwischen dem Pfad der Befreiung und dem Pfad des weltlichen Wohlergehens. Dies deckt sich mehr oder weniger mit der westlichen Unterscheidung zwischen spirituellen und weltlichen Belangen. Die Pali Wörter für diese zwei Begriffe bedeuten wörtlich der höchste Pfad (lokuttara-magga) und der irdische oder weltliche Pfad (lokiya-magga). Es besteht zwischen den beiden keine absolute Trennung und wird von den Lehrern oft unterschiedlich ausgelegt, mit größerem oder kleinerem Grad von Unterscheidung. Selbst wenn ein starker Unterschied betont wird, werden die geistigen und weltlichen Pfade als sich gegenseitig unterstützend angesehen.
Der Pfad der Befreiung betrifft Selbstlosigkeit und nibbana, welche an und für sich nicht zu den Gepflogenheiten, Inhalten und Bedingungen der Welt gehören. Der Pfad des weltlichen Wohlergehens betrifft die Art in welcher man mit diesen Gepflogenheiten und Bedingungen umzugehen hat, um das größtmögliche persönliche, familiäre, gesellschaftliche, ökonomische und politische Wohl zu erzeugen.
Traditionell gehört Vipassana Meditation zum Pfad der Befreiung. Das bedeutet, dass viele der westlichen Menschen, die sich dieser Praxis in Asien und in Amerika gewidmet haben, nicht viel über die Theravada Lehren und Übungen für ein weltliches Wohlergehen gelernt haben. Um die Tradition in ihrer vollen religiösen Lebendigkeit zu erfassen, ist es jedoch notwendig beide Pfade zu erforschen. Das gilt vor allem für jene, die das Bestreben haben, die Übung von Vipassana in ihr tägliches Leben mit einzubeziehen.
In einer Anzahl von suttas, die in Südost-Asien weit verbreitet sind, spricht der Buddha darüber, wie man in dieser Welt gut leben kann. Die Sigalaka Sutta befasst sich mit unseren gesellschaftlichen und familiären Verantwortlichkeiten als Eltern, Kind, Ehepartner, Lehrer, Schüler, Freund, Arbeitgeber, Angestellter, Mönch und Laie. Ein schöner und herausfordernder Lehrsatz dieser sutta betrifft die Bestreitung des Lebensunterhaltes ohne damit Schaden anzurichten:
Die Weisen die geschult und diszipliniert sind
Scheinen wie ein Leuchtfeuer.
Sie verdienen Geld geradeso wie ein Biene Honig sammelt
Ohne der Blume zu schaden,
Und sie lassen es wachsen wie einen Ameisenhügel, der langsam höher wird.
Weise erworbenes Vermögen
Verwenden sie zum Nutzen für Alle.
Über die Jahrhunderte hindurch hatte der Theravada Buddhismus enge Beziehungen zur Politik. Viele südostasiatische Könige versuchten, nach den zehn Tugenden und Pflichten zu leben, die politischen Führern von der Tradition vorgegeben waren: Großzügigkeit, ethisches Verhalten, Selbstaufopferung, Ehrlichkeit, Sanftheit, liebende Güte, Wutlosigkeit, Gewaltlosigkeit, Geduld und Übereinstimmung mit dem Dhamma. Zuweilen vermieden diejenigen, denen es nur darum ging dem Pfad der Befreiung zu folgen, weltliche Angelegenheiten, doch im Allgemeinen setzte sich der Theravada Buddhismus als umfassende religiöse Tradition, sehr mit politischen und gesellschaftlichen Fragen auseinander: mit Bildung, Gesundheitswesen, öffentlichen Unternehmungen und in neuerer Zeit mit dem Schutz der Umwelt.
In der buddhistischen Tradition gibt es viele Feste und Feiern, die dazu beitragen eine gut funktionierende Gemeinschaft zu schaffen. So werden zum Beispiel die Anlässe, die wichtige Veränderungen im Leben eines Menschen markieren, mit einer Reihe von Ritualen feierlich begangen. Es gibt in den Theravada Gemeinschaften Zeremonien, Übungen und Feierlichkeiten bei Geburten, Heiraten, Sterbefällen und selbst beim Eintritt in den Rang der Gemeindeältesten an sechzigsten Geburtstagen. Mönche haben bei vielen, wenn auch nicht bei allen dieser Riten, eine offizielle Funktion.
Schüler und Lehrer
Der Theravada Buddhismus lehrt, dass Freundschaft eine unschätzbare Unterstützung des geistigen Lebens ist. Ganz besonders wird zur geistigen Freundschaft unter den Übenden und zwischen Übenden und Lehrenden ermutigt. Tatsächlich ist ein gebräuchlicher Name für einen Lehrer kalyana-mitta, was „guter geistiger Freund“ bedeutet.
Obwohl Lehrer Anweisungen geben, Täuschungen und Abhängigkeiten aufdecken, neues Verständnis und neue Perspektiven enthüllen und für Ermutigung und Inspiration sorgen, ist ihre Rolle beschränkt, da wir alle den geistigen Weg selbst gehen müssen. Vor allem ist ein Lehrer nicht jemand, für den die Schüler ihren gesunden Menschenverstand und ihre persönliche Verantwortung ablegen sollten. Auch wird im Allgemeinen nicht erwartet, dass Schüler sich nur einem Lehrer widmen. Übende verbringen üblicherweise ihre Zeit mit verschiedenen Lehrern und profitieren damit von deren speziellen Schwerpunkten.
Klosterleben
Ein Grundpfeiler der Theravada Tradition ist die klösterliche Gemeinschaft der Mönche und Nonnen. Für den Großteil der vergangenen zweitausend Jahre waren sie die wichtigsten Bewahrer der buddhistischen Lehren und Vorbild für ein der Befreiung gewidmetes Leben. Für viele ist das Klosterleben der beste Lebensstil für das Lernen, Üben, Dienen und die Reinigung des Herzens. Obwohl Askese nicht erwartet wird, ist das klösterliche Leben doch einfach gestaltet, mit minimalen persönlichen Besitztümern und Verstrickungen. Als solches bietet es ein wichtiges Beispiel für Einfachheit, Genügsamkeit, Unschädlichkeit, Tugend, Demut und die Fähigkeit mit wenig zufrieden zu sein.
Da ihnen nicht erlaubt ist für ihr eigenes Essen einzukaufen, es zu kochen oder aufzubewahren, sind die Theravada Mönche und Nonnen von den täglichen Almosen ihrer Laiennachbarn abhängig. Ihnen ist es deshalb nicht möglich, unabhängig von der Gesellschaft zu leben, denn sie stehen notwendigerweise in beständiger Beziehung zu denen, die sie unterstützen. Meist ist dies eine gegenseitige Beziehung bei der die Laien Mönche und Nonnen unterstützen und diese Unterweisung, Führung und Inspiration bieten.
Klausur (Retreat)
Die beliebteste Theravada Praxis im heutigen Amerika ist die der Achtsamkeit. Sie wurde von jungen Amerikanern eingeführt, die in Südost-Asien die buddhistischen Schriften studiert hatten. Sie ist eine der wenigen asiatisch buddhistischen Meditationspraktiken, die von Amerikanern und nicht von asiatischen Lehrern verbreitet wurde. Lehrer wie Joseph Goldstein, Jack Kornfield und Sharon Salzberg (Gründer des IMS) gestalteten die Praxis in einer besser organisierten Form und schufen damit eine leichter zugängliche, einfache aber profunde Praxis, die großteils vom buddhistischen Theravada Zusammenhang befreit ist. Wie Jack Kornfield sagte: „Wir wollten die starken und wirkungsvollen Übungen der Einsichtsmeditation, wie unsere Lehrer es taten, so einfach wie möglich anbieten, ohne die Komplikationen der Rituale, Gewänder, Gesänge und der ganzen religiösen Tradition.“
Eine sehr wichtige Form der Vipassana Praxis sind intensive Meditationsklausuren (im Englischen „Retreats“), die von einem Tag bis zu drei Monaten dauern können. Klausuren werden in der Regel in Stille, also schweigend, geführt, bis auf Unterweisungen, Interviewgesprächen mit den Lehrern und einen täglichen Vortrag durch einen Lehrenden (im Englischen „Dharma talk“). Ein typischer Tag beginnt gegen 5 Uhr 30 morgens und endet gegen 21 Uhr 30. Ein einfacher Stundenplan, bei dem zwischen sitzender und gehender Meditation abgewechselt wird, und einen Zeitraum für Arbeitsmeditation einschließt, ermöglicht die Entwicklung der Achtsamkeit über den gesamten Tag hinweg.
Obwohl amerikanische Vipassana Schüler überwiegend Laien sind, ermöglichen ihnen die Klausuren mit der Unterstützung durch andere, mit der Einfachheit und dem Fokus zu üben, die normalerweise mit einem klösterlichen Leben verbunden sind. In gewissem Sinne bieten diese Klausuren die Vorteile und Nutzen eines zeitweiligen klösterlichen Lebens. Intensive Klausuren in Abwechslung mit Zeiten der Praxis in der Welt des Alltags sind ein Kennzeichen der amerikanischen Vipassana-Bewegung.
Vielleicht entspricht unsere westliche Art des Laientums dem Leben der Theravada Waldmönche, die in der Geschichte oft diejenigen waren, die sich der Übung der Meditation widmeten. Diese Einfachheit unterstützt nicht nur die Entwicklung tiefer, intimer Achtsamkeit, es ermöglicht auch die Entdeckung der Einfachheit der Freiheit selbst.